Customer Journey, Touchpoints, Omni-Channel und Virtual Reality. Online, offline und mobile. Viele Schlagworte schwirren durch den medialen Blätterwald, wenn es um das Einkaufserlebnis der Zukunft geht. Dabei haben alle doch nur Eines im Sinn: Den Weg des Kunden zu analysieren, zu optimieren und zu kontrollieren. Ihn schnittstellen-übergreifend, sprich: ganzheitlich anzusprechen, an die Hand zu nehmen – und möglichst nicht mehr loszulassen.
Die Herausforderung für Unternehmen ist klar: Ziel ist es, diesem Kunden an allen Berührungspunkten ein überzeugendes, einheitliches, beeindruckendes und möglichst nachhaltig wirksames Markenerlebnis zu bieten. Dabei den Einkaufszyklus zum Kreislauf zu gestalten. Vor dem Kauf ist nach dem Kauf und umgekehrt.
Die Strategien, wie dies am Point of Sales umgesetzt werden soll, sind allerdings recht vielfältig. Wie das Einkaufserlebnis der Zukunft wohl aussehen wird? Ich habe mich für Sie umgesehen. Und das Gefundene in den folgenden fünf Thesen festgehalten.
These 1:
Der Trend zum Online-Shopping ist zwar nicht reversibel, aber bekommt Gegenverkehr.
Der Trend weg vom Einzelhandelsgeschäft und hin zum Online-Shopping ist eindeutig. In den letzten Jahren kaufen immer mehr Menschen ihre Waren online ein und immer weniger finden den Weg ins Geschäft vor Ort. Experten sind sich einig: Diese Entwicklung geht weiter und ist nicht umkehrbar.
Aber die Online-Autobahn bekommt Gegenverkehr: Denn zeitgleich machen einige erfolgreiche E-Commerce-Riesen den ersten Schritt in die reale Welt. Und zwar, um dort zu bleiben.
Was im englischsprachigen Raum so schön bildlich mit „Bricks and Mortar“ – „Ziegelsteine und Mörtel“ – umschrieben wird, gehört auch für internationale E-Commerce-Konzerne zum begehrten Gut: Immer mehr Online-Giganten wollen ihre ausschließlich virtuelle, digitale Welt verlassen und endlich einen Fuß auf den Boden der realen Welt setzen. Sie bauen Flagship-Stores, um ihre Präsenz auch im stationären Handel zu zementieren.
Dass eine Marke – so erfolgreich sie online auch sein mag – ihre Entsprechung zum Anfassen und live erleben braucht, scheint sich herumzusprechen.
So gründete in etwa der Online-Handelsriese Amazon seinen ersten Bücher-Store in Seattle. Und mit „Amazon Go“ wird demnächst auch der erste Supermarkt ins Leben gerufen, in dem der Käufer nicht mehr bezahlen muss. Eine App, die mit dem Amazon-Konto verknüpft ist, erledigt das für ihn. Weitere Niederlassungen sollen folgen.
In den Medien finden sich einige ähnliche Geschichten. Wie die des US-amerikanischen Online-Brillen-Händlers Warby Parker. Die Inhaber des erfolgreichen Online-Optiker-Shops fingen irgendwann an, ihre Kunden – vorerst ganz exklusiv – in ihrem New Yorker Apartment zu empfangen. Denn sie hatten bemerkt, dass sich viele ihrer Kunden ein solches Live-Einkaufserlebnis wünschten. Nach positivem Feedback experimentierten sie mit Pop-up-Stores und mobilen Outlets in Bussen. Um schließlich im Jahr 2013 einen Flagship-Store in New York City zu eröffnen.
Interessant dabei: Trotz allem erwirtschaftet Warby Parker immer noch den Großteil seiner Umsätze online. Und auch 80 Prozent der Kunden, die den Laden besuchen, informieren sich vorher auf der Website des Händlers.
Die Journalistin Sarah Shearman von der Zeitung „The Guardian“ zitiert hierzu Zoe Kelly, eine Expertin für Händlermarketing, wie folgt:
„Einkäufer werden immer ein Produkt berühren, fühlen und erleben wollen, bevor sie es kaufen. Die Käufer benutzen digitale Kanäle, um zu recherchieren und ihre Auswahl einzugrenzen.
Aber bevor sie etwas tatsächlich bezahlen, wollen sie ihre Entscheidung in der Realität überprüfen.“
Darüber hinaus gibt es weitere gute Gründe für etablierte Online-Händler, ihr Glück auch im stationären Handel zu suchen: Da wären beispielsweise der steigende Online-Wettbewerb, steigende Logistik-Kosten und steigende Erwartungen der Kunden an die Schnelligkeit der Abwicklung.
Dazu kommt: Es gibt einige Produktbereiche, bei denen das Live-Markenerlebnis einfach unschlagbar ist. Besonders wichtig ist dies in Branchen, bei denen es nicht nur funktionelle Erwägungen für den Kauf eines Produktes gibt, sondern auch stilistische und emotionale Aspekte kaufentscheidend sind. Dazu gehören beispielsweise Mode, Accessoires und Möbel.
Die einhellige Meinung der Experten lautet: Die Zukunft gehört den Handelsunternehmen, die es verstehen, ihre Online- und Offline-Aktivitäten sinnvoll und eng zu verzahnen. Und dabei die Vorteile beider Welten zu verknüpfen. Um insgesamt das optimale Einkaufserlebnis zu gestalten – schnell, unkompliziert, informativ und unterhaltsam.
These 2:
Omni-Channel wird zur Überlebenschance für kleine, lokale Händler.
Die Zukunft gehört den Unternehmen, die auf allen Kanälen – online wie offline – erfolgreich aktiv sind. Das nennt sich dann im Sprachgebrauch „Omni-Channel“. Und hat den Vorteil, dass sich der Kunde nicht mehr zwischen Offline- und Online-Shopping entscheiden muss, da er alle Optionen gleichermaßen geboten und in harmonischer Weise verknüpft nutzen kann. So weit so gut.
Als falsch könnte sich hingegen die Annahme erweisen, dass sich diese Strategie nur die großen Handelsketten leisten können. Den Gegenbeweis stellt gerade die Firma Farfetch im Bereich der Modebranche an. Mit einem Business-Konzept, bei dem nicht das Verkaufen, sondern Kuratieren von Produkten im Zentrum steht, ermöglicht es die Online-Plattform auch kleinen, lokalen Geschäften, im globalen Online-Big-Business mitzuspielen.
Dabei beruht das Geschäftsmodell auf einem Cloud Service, der das liebevoll ausgewählte Produktportfolio von kleinen, lokalen Boutiquen weltweit online verfügbar macht. Der Clou dabei: Mit rund 400 angeschlossenen Geschäften und über 100 Marken im Angebot entsteht eines der größten und diversifiziertesten Warensortimente der Welt.
In dieser Welt ist es völlig egal, ob der Kunde vor Ort in der kleinen Boutique um die Ecke nach den neuesten Entdeckungen forscht oder ob er in Hongkong am Computer sitzt. Eine exzentrische Jacke von Dolce & Gabbana findet so oder so ihren Käufer – und das Einkaufsrisiko für den Boutique-Besitzer wird minimiert. In gleicher Weise, wie die Warenlagerkosten des Cloud-Anbieters Farfetch gegen Null tendieren.
Mit seinem raffinierten Ansatz gilt José Neves, der Gründer von Farfetch, als Pionier des Online-Shoppings und Heilsbringer für lokale Händler. Denn seine Geschäftsidee ist eine Win-Win-Situation par excellence. Sie ermöglicht es kleinen Shop-Besitzern sowie kleinen lokalen Produzenten, fern vom Mainstream zu operieren und dennoch weiter existieren zu können – ein Gewinn für die Diversifizierung des Angebots und eine Kampfansage an die marktdominierenden, großen Handelsketten.
Ob sich solche Konzepte einer intelligenten Verknüpfung von Offline- und Online-Shoppingwelt, die vor allem den kleinen Händlern zugutekommt, auch in anderen Branchen etablieren lassen, bleibt abzuwarten. Möglich und wahrscheinlich ist es allerdings schon, wenn man das Interview von Joshua Levine mit José Neves im Telegraph liest.
Übrigens: Erst kürzlich hat Farfetch sein erstes eigenes Ladengschäft gekauft – die Londoner Boutique Browns. Damit möchte der E-Shop-Riese offiziell neue Strategien im Omni-Channel-Verkauf testen. Und ist damit ein weiteres Online-Unternehmen, das seine ersten Schritte auf festem Boden unternimmt – siehe These 1.
Wer nach Beispielen für den deutschen Markt sucht, wird sich für das Projekt „Mönchengladbach bei eBay“ interessieren. Dieses stellen die Autoren Stephan Zoll und Steven Marks im Buch „Digitale Transformation oder digitale Disruption im Handel“ anschaulich vor.
Es handelt sich dabei um eine Kooperation zwischen eBay, der Wirtschaftsförderung Mönchengladbach GmbH und dem eWeb Research Center der Hochschule Niederrhein. Dabei wurden kleine Händler vor Ort darin unterstützt, sich eine zusätzliche Online-Präsenz auf eBay aufzubauen.
Das Resultat: 70 teilnehmende Händler verzeichneten schon nach kurzer Zeit signifikante Umsatzzuwächse und konnten sich auf eBay relativ schnell ein zweites Standbein aufbauen.
Die Autoren Zoll und Marks formulieren es wie folgt:
„Der stationäre Einzelhandel hat durchaus Zukunft, wenn er Digitalisierung als Chance und nicht als Bedrohung begreift. […] Auch kleine Händler können gewinnen, wenn sie ihre Agilität und Schnelligkeit nutzen und wenn sie kreativ werden, um Offline-, Online- und Mobile-Zugangswege intelligent zu verzahnen.“
Die Zukunft wird zeigen, wie die Kleinen diese Vorteile nutzen können…
These 3:
Von androiden Shop-Konzepten zu E-Commerce-Showrooms: Shops werden zum Bindeglied zwischen virtueller und realer Markenwelt.
Das traditionelle, analoge Geschäft mit umfangreichem Warenlager und Kasse ist ein überholtes Modell. Shops, die nicht nur überleben, sondern im zukünftigen Händlerschwarm ganz vorne mitschwimmen wollen, werden dem Kunden eine nahtlos integrierte Offline- und Online-Markenerfahrung anbieten müssen – das Beste aus beiden Welten aus kundenzentrierter Perspektive und über alle Devices hinweg.
Dazu wird der Einzelhandel vor Ort mächtig aufrüsten. Und zwar in IT. Denn das Wissen um innovative IT-Lösungen, die Möglichkeiten ihrer Anwendung und deren schnelle Umsetzung in moderne Shop-Konzepte, wird über die Zukunftsfähigkeit der Geschäfte entscheiden.
Um das Einkaufserlebnis des Kunden zu optimieren, werden sich – ganz ähnlich den menschenähnlichen Maschinen aus dem Science Fiction Genre – „androide Shop-Konzepte“ durchsetzen: halb Mensch, halb Maschine und mit den Möglichkeiten von mobilen Apps, Virtual und Augmented Reality sowie dem „Internet of Things“ angereichert.
Mit dieser Entwicklung wird es bald völlig egal, wo und wie die Kunden sich informieren, etwas ausprobieren, einkaufen, bezahlen, etwas erhalten oder zurückgeben wollen: alle Wege stehen ihnen offen. Die gesamte Customer Journey wird ganz nach Vorlieben des Kunden gestaltet. Online oder offline, digital oder live vor Ort – es geht kreuz und quer.
- Dass das wichtigste Tool der Verkäufer ihr iPad ist oder dass der Kunde im Geschäft an interaktiven Medienscreens alle gewünschten Informationen über Produkte und deren Verfügbarkeit abrufen kann, ist dabei schon fast kalter Kaffee.
- Auch dass Kunden ihren Warenkorb im Geschäft am Touch-Screen individuell zusammenstellen und nachhause liefern lassen – oder umgekehrt: online bestellen und im Geschäft abholen oder zurückbringen – ist eigentlich bereits in der Erwartungshaltung des service-orientierten Kunden fest verankert.
Interessant wird es, wenn Geschäfte auf virtuelle Helfer setzen: Dann wird die traditionelle Orientierungs-, Beratungs- und Verkaufsfunktion des Shop-Personals und die Live-Erfahrung eines Produkts zunehmend durch Anwendungen im Bereich Augmented Reality, Virtual Reality und „Internet of Things“ erweitert.
- Bereits heute können intelligente Produkte dem Shop-Betreiber genaue Auskunft darüber geben, welcher Kunde sich welche Produkte wann angesehen hat.
- Kunden können auf ihren Smartphone-Apps nachsehen, ob und wo sich ein bestimmtes Produkt gerade im Laden befindet.
- Oder es werden einfach virtuelle Promoter eingesetzt, die dem Kunden auf der Basis vergangener Interessen und Käufe aktuelle, maßgeschneiderte Informationen und Angebote auf seine Smartphone-App senden.
- Bezahlt wird in dieser Welt natürlich auch nach Lust und Laune – cash, per Online-Überweisung, PayPal, Telefonrechnung oder Smartphone-App – oder einfach gar nicht mehr. Dann verlassen die Kunden das Geschäft mit ihren Waren, während die Bezahlung automatisch über ihren Kunden-Account auf dem Smartphone abgewickelt wird – siehe Amazon Go.
Wenn zu diesem Szenario noch virtuelle oder angereicherte Realität dazu kommt, verwandelt sich das Geschäft von nebenan ganz schnell in eine neue, spannende Produkt-Erlebniswelt.
In Deutschland macht es IKEA vor: Im letzten Jahr entstand der erste IKEA-Markt in Berlin mit virtuellem Einrichtungsraum. Setzt der Kunde eine Oculus-Rift-CV1-Brille auf, kann er ein virtuelles Wohnzimmer betreten, in dem sich ein Möbelstück mit verschiedenen Lichtstimmungen und Einrichtungsstilen – fast wie in echt – erleben lässt.
Insider sprechen in diesem Zusammenhang gerne von „E-Commerce-Showrooms“. Denn der Wandel hin zum androiden Shop hat weitreichende Folgen – gloriose Zukunftsvisionen vom virtuellen, völlig kundenspezifisch individualisierbaren Verkaufsraum inklusive.
In diesem Szenario erhält das Geschäft eine neue Kernfunktion. Warenlager, ein Verkaufstresen oder Kassensysteme werden unnötig. Stattdessen werden das Markenerlebnis in all seinen Facetten und ein einzigartiger Service zum Kundenmagnet.
- Die Shop-Architektur wird davon befreit, in erster Linie Waren verstauen oder präsentieren zu müssen und kann sich kreativ entfalten.
- Alle Design-Elemente des Shops lassen sich individuell steuern. Am Ende steht ein dynamischer Produkt-Erlebnisraum, der sich durch virtuell angereicherte Elemente und flexible Content-Areas immer wieder neu erfindet. Der Laden um die Ecke 4.0 sozusagen.
Wer‘s nicht glaubt: Tesla und Ford experimentieren bereits mit dem E-Commerce-Showroom – Ausgang offen.
These 4:
Die Verkaufsfläche ist tot – es lebe die Erlebnis- und Community-Zone!
Was passiert, wenn Konsumenten nicht mehr zwangsläufig in ein Geschäft gehen müssen, um etwas zu kaufen? Dann gibt es nur zwei Möglichkeiten, Kunden anzuziehen: Entweder die Waren im Geschäft sind deutlich billiger als online. Oder es gibt einen anderen Publikumsmagneten und die Menschen kaufen nebenbei auch noch ein.
Das bedeutet: Das Einkaufen wird in ein Erlebnis eingebettet, das deutlich attraktiver ist und über Versorgungsdenken weit hinaus geht. Der Verkaufsraum wird zur Erlebniszone. Der Käufer der Zukunft kauft keine Produkte mehr, sondern Erlebnisse. Er will gut unterhalten werden, Spaß haben, überrascht werden und seine sozialen Bedürfnisse stillen.
Folglich wird der zukünftige Point of Sales zur Galerie mutieren, zum Café, zur Bücherei, zum Club oder zu einem sonstigen Veranstaltungsort. Er wird ein Zentrum für die gesellschaftliche Begegnung sein – eine Art Gemeindezentrum für die sozialen und kulturellen Bedürfnisse einer Millenium-Generation. Diese wird dort lernen, Freunde treffen und sich amüsieren. Der Shop wird als Symbol für einen bestimmten Lebensstil und eine bestimmte geistige Haltung inszeniert. Verkaufsflächen der Zukunft werden zur lebendig gewordenen Markenwelt – einer Welt, in der es entscheidend ist, über den bloßen Konsum hinaus Sinn zu stiften.
„Das Geschäft der Zukunft steht im Wettbewerb um die freie Zeit des Kunden und muss daher mit Freizeitaktivitäten konkurrieren, wie Kino oder Sport.“
So wird Norman Roberts, Designer für Marken wie Macy’s und Tiffany & Co., im Online-Magazin „Business of Fashion“ zitiert.
Und Stuart Miller von QIC Global Real Estate wird noch deutlicher: Einkaufszentren müssten zum Ökosystem werden, in dem der Konsument ganzheitlich und individuell angesprochen wird. Die „Shopping-Mall“ der Zukunft müsse dem Konsumenten alles bieten, was seinem Leben Sinn und Wert verleiht und was ihn Teil der Gesellschaft werden lässt. Dazu gehören Lebenserfahrungen im kulturellen, kreativen und sozialen Bereich. Und Geschäftsflächen, in denen sich Menschen zuhause fühlen können, Pause machen, nachdenken, „runterkommen“.
Als Vorreiter in dieser Hinsicht wird Apple genannt, deren Geschäft in San Francisco mit einem öffentlich zugänglichen Hinterhof-Areal glänzt. Dieses ist 24 Stunden durchgehend geöffnet, beherbergt ein Café und wird mit einem umfassenden, abwechslungsreichen Veranstaltungsprogramm bespielt.
Miller postuliert: Die Bewertung von Verkaufsfläche dürfe sich nicht mehr nach Absatz pro Quadratmeter berechnen. Sie müsste vielmehr in „Erstaunen oder Erkenntnis pro Quadratmeter“ definiert werden.
These 5:
Branchen-übergreifende Markendiversifizierung: Der Point of Sales wird zum Point of Lifestyle.
Wird der Verkaufsraum erst einmal zum Erlebnisraum umgewidmet und soll mit Lifestyle aufgeladen werden, kommt die nächste Frage auf: Wie soll das umgesetzt werden? Die Antwort darauf lautet: Mit erweiterten Markenwelten.
Wenn die Erlebniswelt eines einzigen Unternehmens, einer einzigen Marke oder eines einzigen Produktes nicht ausreicht, um die geforderte ganzheitliche Kundenansprache und das sinnstiftende Community-Building herzustellen, müssen gleichgesinnte Partner her. Oft finden sich diese in anderen Branchen mit Affinität zum Markenkern und gemeinsamen Zielgruppen. So können Marken auf allen Kanälen und mit allen Sinnen erlebbar werden. Experten sprechen hier von einer Diversifizierung der Markenpräsenz.
Dieses gemeinschaftlich produzierte Markenerlebnis mit allen Sinnen braucht jedoch einen gut inszenierten Ort und diverse begleitende Aktivitäten, um seine Wirkung entfalten zu können. Und hier kommen genau solche Shops ins Spiel, die eben keine bloßen Verkaufsräume sind.
Wird ein Geschäft erst einmal zum Anziehungspunkt, der über das Anbieten von Produkten hinausgeht, folgen schnell auch weitere Markenpartner, die nach Diversifizierung ihres Markenerlebnisses streben. Solche Räume anzubieten oder zu schaffen, ist also eine Investition für die Zukunft.
Ein gutes Beispiel dafür sind so genannte Concept Stores, wie Colette in Paris. Die Gründer des Geschäfts, Mutter und Tochter Andelman, haben den Ruf von Colette weit über Frankreichs Grenzen hinaus getragen – mit einem äußerst bunten, geschmackvoll zusammengestellten Produktsortiment, aber vor allem auch mit exklusiven Kundenveranstaltungen, wie Vernissagen, Vorträgen, Filmvorführungen und mehr.
Auf insgesamt drei Stockwerken und über 8000 Quadratmetern präsentiert Colette mit seinen Partnern ein facettenreiches Zeitgeist-Zentrum der Pop-Kultur – mit Produkten aus den Bereichen Mode, Design, Kunst und Food. Was ist Colette eigentlich? Kunstgalerie? Café? Bibliothek? Restaurant? Alles, aber eben nicht “nur” eine Modeboutique. Und der Erfolg gibt dem Shop-Konzept Recht. Allein in 2015 konnte der Concept Store rund 31 Millionen Euro Umsatz verzeichnen.
In Deutschland hat sich die Zeitschrift VOGUE aufgemacht, um ihren Erlebnisraum zu gestalten. Und um der Marke VOGUE eine greifbare Sinnes-Komponente hinzuzufügen. Nach VOGUE Cafés, VOGUE Lounges und GQ-Bars, die überwiegend im asiatischen Raum angesiedelt sind, soll Mitte 2017 das erste „VOGUE Café“ in Berlin entstehen. Betreiber ist die Gastronomiesparte des Condé Nast Medienimperiums.
Als Kooperationspartner hat sich VOGUE die Luxusmode- und Lifestyle-Marke Patrick Hellmann Collections ins Boot geholt. Wie günstig: Das Unternehmen ist auch Betreiber des 5-Sterne-Lusxushotels „Patrick Hellmann Schlosshotel“, welches nun extra für den neuen VOGUE-Gourmet-Tempel umgebaut wird.
Moritz von Laffert, Herausgeber bei Condé Nast Deutschland, bezeichnet das VOGUE Café in der Fachzeitschrift „werben & verkaufen“ als „Brand-Experience-Konzept“ und „zentrales Element unserer Diversifizierungsstrategie“. Es mache die Marke „auf einer weiteren Ebene für unsere Leser sowie Mode- und Food-Liebhaber aus der ganzen Welt erlebbar“.
Luxusmode-Magazin, Luxus-Lifestyle-Marke und Luxus-Schlosshotel ist gleich Marken-Erlebnisraum für internationale Premiumkunden – diese Gleichung geht auf. Der Lebensstil hält die Komponenten zusammen. Und meine Prognose lautet: An Nachahmern wird es nicht mangeln.
Mein Fazit:
Technische Innovationen und menschliches Erleben gehen Hand in Hand in die Zukunft des PoS
Meine Glaskugel für den PoS hat viel zu bieten: Online-Big-Player, die das Offline-Spiel ganz vorne mitspielen wollen. Kleine Lokalhelden, die sich in der großen weiten Online-Welt beweisen müssen. Innovative Showrooms mit Science-Fiction-Potenzial. Einkaufszentren, die zum Community-Center mutieren. Shops als Lifestyle-Inseln. Der Einzelhandel ist ganz schön in Bewegung.
Die Zukunft zeigt aus meiner Sicht ein paar eindeutige Tendenzen:
- Die nahtlose Integration aller Offline- und Online-Instrumente zur Pflege der Kundenbeziehungen vor, während und nach dem Kauf ist schon lange keine Frage des Ob oder Wie mehr, sondern nur noch eine Frage des Wann. Und die Antwort für Shop-Betreiber darauf lautet: möglichst schnell.
- Die Einbindung der genannten technischen Innovationen am Point of Sales wird zwingend notwendig. Ein androides Shop-Konzept bedeutet das Mindestmaß an Überlebensfähigkeit für den lokalen Einzelhandel.
- Zum Einkaufen geht bald niemand mehr. Erlebnisse werden die neue Währung, die für Shop-Betreiber maßgeblich ist. Und wer dabei aus seinen Kunden keine Community bilden kann, wird es schwer haben.
- Menschen wollen nicht nur einkaufen um des Besitzens willen. Sie wollen ihr Leben gestalten, es lebenswert machen. Konsum ist Lebensstil, ist Selbstinszenierung, ist Identität, ist soziale Einbindung. Marken, die das verstanden haben und ihren Kunden Räume für solche ganzheitlichen, mit allen Sinnen zu erfassenden Lebens- und Markenwelten bieten, werden als Gewinner des Rennens hervorgehen.
Aber das sind natürlich alles nur Thesen und noch keine Wahrheiten. Meine Glaskugel ist auf jeden Fall geputzt. Und ich werde für Sie beobachten, wie es weiter geht.
Was meinen Sie? Welche Entwicklungen werden den Point of Sales in den kommenden drei bis fünf Jahren maßgeblich prägen? Ich bin gespannt auf Ihre Visionen.