Schlechte Briefings, kurze Vorlaufzeiten, intransparente Entscheidungswege, kein Honorar – das sind nur einige der häufig angeführten Beschwerden, wenn es um Wettbewerbspräsentationen geht. Ist der Pitch am Ende? Dient das Ausschreibungsverfahren überhaupt noch seinem ursprünglichen Zweck, den besten Agenturpartner für ein Projekt auszuwählen?
Ich will Ihnen heute meine Sichtweise der Dinge aufzeigen. Als Agenturchef. Als jemand, der an eine faire, langfristig ausgerichtete Pitch-Kultur glaubt – trotz allem. Und weil ich Win-Win-Situationen liebe. Aber alles der Reihe nach…
Prolog: Eine unseriöse Anfrage
Die Anfrage erreichte mich mitten im hektischen Agenturtag: Ein internationales Unternehmen sucht eine neue Agentur für Live-Kommunikation. Und wie toll: Wir sind eine der Agenturen, die zum Pitch eingeladen werden. Es gehe darum, ein völlig neues Konzept für den europäischen Markt zu entwickeln. Die Details entnehme man bitte dem beigefügten Briefing.
Doch dann lese ich weiter. Das Briefing entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine Art allgemeine Willenserklärung. Und weiter heißt es: Vorschläge sollen übersandt werden – und zwar innerhalb von 6 Tagen. Die Krönung: Honorar? Fehlanzeige.
Meine Freude ist schlagartig vorbei. Ich sage den Pitch ab – inklusive der Chance auf einen 6 -stelligen Neukunden-Etat. Dass meine Entscheidung richtig ist, erfahre ich einige Wochen später: als sich Auftraggeber und Gewinner-Agentur “einvernehmlich” trennen.
Was ist eigentlich Sinn und Zweck einer Wettbewerbspräsentation?
Solche Situationen sind alles andere als ein Einzelfall im Agenturleben. Leider. Schlechte Briefings, Agenturpräsentationen, die gar keine sind, zu wenig Zeit, um solide Konzepte zu entwickeln, kein Pitch-Honorar zum Ausgleich der Agenturkosten. Wieder einmal frage ich mich, ob unsere Pitch-Kultur noch zu retten ist.
Eigentlich ist die Wettbewerbspräsentation eine gute Erfindung. Sie soll einem Unternehmen dabei helfen, die beste Agentur für die anstehende Kommunikationsaufgabe zu finden. Oder wie das bei Wikipedia heißt:
„Der Agenturpitch ist eine Präsentation, mit der man sich um einen Auftrag bemüht… Diese Art des Wettbewerbs soll die Auswahl des besten Dienstleisters für die Betreuung eines Unternehmens gewährleisten. Agenturpitches werden insbesondere für die Auswahl einer Werbeagentur, Mediaagentur, PR-Agentur, Internetagentur, Eventagentur oder Designagentur vorgenommen.“
Ein fairer Pitch ist die Chance, die man nicht verpassen möchte.
Wenn man sich die ideale Vorgehensweise bei einem Pitch ansieht, besteht kein Zweifel daran, dass die Ausschreibung von Etats oder Projekten eine wichtige Funktion dabei hat, die richtigen Unternehmen mit den richtigen Dienstleistern zusammenzubringen:
- Die Agentur erhält ein präzises Briefing und genügend Vorlaufzeit, um ihr Konzept auf die Kundenbedürfnisse maßzuschneidern – kurz: die Chance, Bestleistung auf den Punkt zu präsentieren.
- Die Vorleistung der Agentur für die Wettbewerbspräsentation wird – zumindest teilweise – als Aufwandsentschädigung oder Pauschal-Honorar vergütet.
- Das Unternehmen vergibt seinen Gesamt-Etat für die anstehende Aufgabe derjenigen Agentur, die im Pitch mit den besten Ideen, den besten Umsetzungsmöglichkeiten, einem vernünftigen Kostenplan, der größten Erfahrung und den kompetentesten Mitarbeitern punkten kann.
- Die Entscheidung für eine Agentur erfolgt aufgrund fachlicher Erwägungen, in die sowohl Kosten, als auch Qualität gleichberechtigt einbezogen werden. Und es ist klar, wer die Verantwortung für diese Entscheidung übernimmt, sie intern tragen wird.
- Idealerweise hält eine via Pitch geschlossene Partnerschaft mehrere Jahre lang. Damit sich die Anfangsinvestition der Agentur – aber auch des Auftraggebers – amortisiert. Damit sich beiderseitiges Verständnis und Vertrauen entwickeln kann und davon auch die Qualität von Projekten und Prozessen profitiert. Kurz: Damit aus gegenseitiger Wertschätzung Wertschöpfung entsteht.
Eine unfaire Pitch-Kultur gefährdet die Wertschöpfung – von Unternehmen und Agenturen.
Mit über 20 Jahren Agenturerfahrung weiß ich natürlich: Die ideale Welt gibt es nicht. Aber ich weigere mich standhaft, die in weiten Kreisen praktizierte Pitch-Kultur mit ihrem unfairen David-gegen-Goliath-Prinzip einfach so hinzunehmen.
Denn diese bringt nicht nur kleineren Agenturen einen immensen Wettbewerbsnachteil. Sie wirkt sich letztendlich auch auf den ROI der Kunden nachteilig aus. Ich bin überzeugt: Das geht besser!
Irgendwann werden auch die letzten Unternehmen bemerken, dass eine faire Pitch-Kultur die Grundvoraussetzung dafür ist, mithilfe einer Agentur tatsächlich wertschöpfend zu wirtschaften. Die Unternehmen, die sich einer immer kurzfristigeren, einseitig kostenoptimierten Wettbewerbskultur verschrieben haben, tun sich damit keinen Gefallen.
Ein exzellentes Briefing produziert exzellente Konzepte.
Jedes Konzept ist nur so gut wie das Briefing dahinter. Zu kurzfristige, ungenügend präzisierte Ausschreibungen und Präsentationen, bei denen jegliche persönliche Erklärungsmöglichkeit fehlt, können nicht für beste Ergebnisse sorgen. Fehlende Rebriefings oder mangelnder Gedankenaustausch in der Ideenphase machen Bestleistung nahezu unmöglich – auch für den späteren Etat-Gewinner.
Ein faires Pitch-Honorar legt den Grundstein für faire Zusammenarbeit.
Das Verhältnis zwischen einer Agentur, deren Leistung nicht adäquat honoriert wird und einem Auftraggeber, der diese offensichtlich nicht wertschätzt, ist von Anfang an belastet. Ganz abgesehen davon, dass ein solches Verhalten im Pitch die Frage aufwirft, wie es insgesamt um die Zahlungsmoral eines potentiellen Kunden bestellt ist.
Billige Pitches sind ein Wettbewerb um die billigste Agentur, nicht die beste.
Solche nicht honorierten Pitchverfahren schließen viele gute Ideen aus. Kleinere Agenturen, die Wert auf Qualität legen, aber eben nicht über die personellen und finanziellen Ressourcen verfügen, sich kurzfristig an kostenlosen Ausschreibungen zu beteiligen, haben keine Chance. Welche kleine Agentur kann es sich leisten, ein drei- bis vierköpfiges Team tagelang exklusiv für ein unbezahltes Projekt arbeiten zu lassen?
Pitches um Mini-Etats lassen den Gewinn schmelzen – und kleine Agenturen gleich mit verschwinden.
Speziell bei der Ausschreibung von kleineren Etats kommt schnell die Frage auf, ob diese Kosten überhaupt durch den Auftrag refinanzierbar sind. Gerade die – aus meiner Sicht völlig unnötige – Ausschreibung von Klein- und Kleinstaufträgen ist aber deutlich auf dem Vormarsch. Grund dafür: der wachsende Einfluss der Compliance-Abteilungen.
Oft müssen laut interner Vorgabe für Projekte oberhalb eines bestimmten Budgets verschiedene Angebote eingeholt werden. Für kleine Agenturen bedeutet das: Pitch-Investition frisst Agenturhonorar. Viele sehen sich genötigt, dieses Spiel dennoch mitzuspielen. Aber mal ehrlich: Ist ein Unternehmen mit einer Auswahl von Dienstleistern, die quasi zum Nulltarif arbeiten würden, wirklich bestens bedient?
Nebulöse Entscheidungsprozesse produzieren schlechte Entscheidungen.
Ist die Wettbewerbspräsentation erst einmal gelaufen, folgt ein Entscheidungsprozess, der an Intransparenz oft nicht mehr zu toppen ist. Je mehr Abteilungen und unterschiedliche Disziplinen beim Auftraggeber mitreden, desto mehr scheint die Verantwortung für eine Entscheidung im Konzern-Nebel zu verschwinden.
Kostendruck schlägt Qualitätssicherung.
Einziger Richtungsweiser im Zuständigkeits-Nebel ist dann häufig die Forderung nach Kostensenkung.
Vor allem der Einkauf bestimmt heute stärker mit denn je. In immer kürzeren Abständen wird zum Pitch aufgerufen. Wer als Agentur die Kosten dann nicht deutlich senkt, ist aus dem Rennen. Nicht selten werden Preise unter die Schmerzgrenze gedrückt. Und nur wenige Agenturen trauen sich, Aufträge oder Auftraggeber abzulehnen, die nicht lukrativ sind.
Wo bleiben bei einer solchen Auslese die fachlichen Erwägungen? Oder die Qualitätssicherung? Fehlanzeige. Die Auswahl des besten Agenturpartners oder der besten Konzepte rückt in noch weitere Ferne. Was war noch einmal das ursprüngliche Ziel der Wettbewerbspräsentation?
Grundsätzliches Verständnis weicht schnellen Ideen.
Aber auch etwas noch viel Grundsätzlicheres bleibt dann auf der Strecke: Denn mit zunehmendem Kosten- und Zeitdruck auf Agenturen steigt die Hinwendung zu schnellen Lösungen und kreativen Spontan-Ideen. Grundsätzliche Fragen zu Zielen, Hintergründen und der Komplexität von Projekten unterbleiben. Es fehlt die Zeit, mit dem Kunden ein gemeinsames Verständnis über die Aufgabe zu entwickeln.
Gerade am Anfang einer Zusammenarbeit ist das aber immens wichtig. Eine faire Agentur-Kunden-Beziehung braucht Ehrlichkeit und Klarheit, was in welchem Umfang geleistet werden kann. Und zwar von Anfang an.
Kostenlose Pitches werden teuer.
Vielen Unternehmen scheint gar nicht bewusst zu sein, dass sie durch nicht honorierte Wettbewerbspräsentationen, häufige Ausschreibungen – insbesondere von kleinen Etats – und intransparente Entscheidungsverfahren auch im eigenen Haus zusätzliche Kosten produzieren, die sich maßgeblich auf den ROI auswirken.
Es sind nachgelagerte Kosten, die später an anderer Stelle wieder auftauchen – und damit oft gar nicht der ursprünglichen Vergabepraxis zugeordnet werden. Wie praktisch für die eigentlichen Verursacher!
Wenn Qualität keine Rolle spielt, geht später der ROI in die Knie.
Die kostenlosen, häufigen Ausschreibungen schränken, wie oben beschrieben, die Agenturauswahl künstlich ein – und zwar nicht unbedingt zum Besseren. Die häufige Folge: Suboptimale Konzepte, Kreativleistung als Nachgedanke sowie schnell und lieblos umgesetzte Projekte, und ein ROI, der gegen Null tendiert.
Wer beim Pitch kurzfristig denkt, hat langfristig gesamtwirtschaftlich schon verloren.
Nicht zu vergessen: Häufige Ausschreibungen verschlingen auch beim Auftraggeber enorme Ressourcen. Eine Tatsache, die nicht in die spätere Projekt-Bilanz einfließt. Gute Briefings erstellen, eine geeignete Agenturvorauswahl recherchieren, Einladungen versenden, die Fragen der beteiligten Agenturen behandeln, die Präsentation selbst sowie die Entscheidungsfindung danach: All das kostet Zeit, Erfahrung und Know-how auf Seiten des Unternehmens.
Würden diese Kosten in die Projektbetrachtung gesamtwirtschaftlich einbezogen – so manchem internen Kostenwächter würden die Augen übergehen.
Wie reagieren Agenturen auf den Wettbewerbsdruck?
Agenturen werden sich in Zukunft noch genauer überlegen müssen, an welchen Pitches sie teilnehmen wollen — und an welchen nicht.
Dies erfordert zum einen eine Analyse des Kunden, der zum Pitch einlädt. Zum anderen braucht eine Agentur klare strategische Prioritäten: Für welche Kunden wollen wir arbeiten? Wie sieht der Lebenszyklus der Kundenbeziehung aus? Wann und wieviel sind wir bereit, in eine mögliche Kundenbeziehung zu investieren?
Der Agentur-Spagat zwischen langfristigen Kundenbeziehungen und kurzfristigen Leistungsbeweisen zermürbt.
Tatsache ist, dass sich Agenturen auch in langfristigen Agentur-Kunden-Beziehungen und trotz guter Zusammenarbeit ständig neu beweisen müssen – auch im Pitch. Häufig bedeutet ein solcher Pitch im Wesentlichen nur, dass der Preis für eine einwandfrei erbrachte, erfolgreiche Dienstleistung weiter gedrückt werden soll.
In einem solchen Umfeld steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeiter zermürbt und schnell verbrannt werden. Um dem gegenzusteuern, ist es für Agenturen essenziell, ein attraktives, wertschätzendes Arbeitsumfeld zu schaffen – ein Investitionsposten, der angesichts schwindender Margen zusätzlichen Druck auf die Agentur-Bilanz erzeugt.
Marktkenntnis und Insider-Wissen sichern den Lock-in-Effekt.
Ich bin davon überzeugt: Langfristige Zusammenarbeit mit Partnern liegt im Interesse von Agenturen und Marketingabteilungen gleichermaßen. Denn Kurzfristigkeit verhindert Kontinuität und gesundes Wachstum.
Das wird umso wichtiger, je erklärungsbedürftiger die Leistung, je wichtiger die Prozess-Sicherheit, je komplexer Medien, Märkte und Organisation des Kunden aufgebaut sind. Ein schneller Agenturwechsel wird unter diesen Voraussetzungen schwieriger. Denn der Onboarding-Prozess für externe Partner ist ungleich länger.
Dies begünstigt eine langfristige Kundenbeziehung. Denn gegenseitiges Verständnis und ein gewisses „Eingespielt-Sein“ sind ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil – wenn sie auch den Druck durch Einkaufsabteilungen und Pitches nicht verhindern können.
Was vom Pitch-Gedanken übrig bleibt…
Es ist klar, dass eine unfaire Pitch-Praxis für beide Seiten – Agenturen und Auftraggeber – enorme Nachteile mit sich bringt. Ob eine solche Pitch-Kultur ihren Zweck überhaupt noch erfüllt, scheint mehr als fraglich.
Ernste Absichten oder Speed-Dating – das ist hier die Frage.
Ich bin kein Fan von Wettbewerbspräsentationen, die diesen Namen nicht verdienen. Die einer spontanen Laune oder Aktionismus entspringen. Nach dem Motto: „Einfach mal nachsehen, was sonst noch so geht – Hauptsache billig.“
Dann wird der Pitch zur Bitch, ernsthafte Absichten werden dem kurzfristigen Vergnügen geopfert.
Überhaupt denke ich, dass bei dieser Brautschau auch die Braut ein Wörtchen mitzureden hat. Und dass es darum geht, als Agentur seine individuellen Grenzen zu setzen – auch wenn Marke und Etat noch so sehr locken.
Unsere langjährigen Kundenbeziehungen zeigen, dass es möglich ist, partnerschaftlich wertschätzend über längere Zeit zusammenzuarbeiten, immer wieder mit neuen Konzepten und Projekten zu überzeugen. Und sich dabei durchaus ab und zu in einem Pitch zu beweisen – für besondere Projekte mit größerem Etat und mit einer fairen Pitch-Gestaltung.
Und ansonsten? In anderen Fällen übe ich mich in der Handhabung des Wortes „Nein“. Wie bei der anfangs geschilderten Anfrage. Ein eindeutiges „Ja“ hingegen hat der Pitch, wenn er fair, strategisch fundiert und zukunftsfähig ist. Dann ist und bleibt er für mich ein unverzichtbares Instrument, um passende Partner zusammenzuführen.
Seriöse Partnerschaftsvermittlung auf Projektzeit oder Speed-Dating mit der Bitch – das ist hier die Frage. Und manchmal eben nur ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Wie sehen Sie das? Was ist aus der Pitch-Kultur geworden? Ich bin gespannt auf ihre Meinung. Gerne auch in einem Kommentar zu diesem Beitrag.