
Express Yourself
Die Rolle der Selbstinszenierung in der Live-Kommunikation
Die Inszenierung von Persönlichkeiten spielt im Bereich der Live-Kommunikation eine enorm wichtige Rolle. Denn nicht nur Unternehmen sollen im besten Licht erstrahlen, sondern auch die Menschen, die maßgeblich am Erfolg dieser Unternehmen beteiligt sind. Menschen, die in ihrem Fachbereich eine besondere Expertise innehaben. Die etwas zu sagen haben.
Dabei müssen nicht nur die Inhalte stimmen. Der ganze Mensch als Sprachrohr steht im Fokus. Will er seine Botschaft erfolgreich bei seinem Publikum platzieren, ist einiges zu beachten.
Welchen Stellenwert hat die Selbstinszenierung im Alltag? Und welche Faktoren spielen eine Rolle bei der Inszenierung von Persönlichkeiten – insbesondere im Bereich der Live-Kommunikation? Im Gespräch mit Medien-Expertin Dr. Katrin Prüfig gehen wir der Sache auf den Grund.
DR. KATRIN PRÜFIG
ist seit 2015 „Certified Media Trainer (SHB)“ und somit eine von nur neun zertifizierten Medientrainern in Deutschland. Sie hat in Publizistik promoviert und arbeitet seit fast drei Jahrzehnten als Journalistin, Reporterin und Moderatorin sowie seit 2002 als Kommunikations- und Medientrainerin. Und das in drei Sprachen: Deutsch, Englisch und Französisch. An der privaten Hochschule BiTS in Hamburg leitet sie die TV-Lehrredaktion. Darüber hinaus moderiert sie viele hochkarätige Veranstaltungen wie z.B. den „German Energy Transition Dialogue 2016“ im Auftrag der Bundesregierung.
Ich inszeniere mich, also bin ich
Selbstinszenierung ist zur Alltäglichkeit geworden. Die Möglichkeit, sich insbesondere auf sozialen Netzwerken auf eine bestimmte Art und Weise – durch die richtige Haltung auf Fotos, die richtige Formulierung in Beiträgen, die richtigen Freunde und die richtigen Verlinkungen zu hippen Orten – im besten Licht zu präsentieren, wird gerne wahrgenommen. Nicht umsonst werden auf Kanälen wie YouTube jährlich unzählige Künstler und Prominente geboren.
Aber auch die klassischen Formen der Selbstinszenierung in den Medien sind nach wie vor spannend und lehrreich. Ganz vorne dabei: die Präsidentschaftswahl in den USA. Seit Monaten verfolgt die ganze Welt, wie Donald Trump und Hilary Clinton gegeneinander um den größten politischen Posten der Vereinigten Staaten antreten. Im November wird das neue Staatsoberhaupt bestimmt. So sehr sich die Meinungen auch teilen – und so wenig wir an dieser Stelle politisch werden möchten – steht eines fest: Ein Präsidentschaftswahlkampf ist ein Paradebeispiel für die strategische Inszenierung von Persönlichkeiten.
Frau Dr. Prüfig, was können wir aus der diesjährigen Präsidentschaftsdebatte zum Thema Selbstinszenierung lernen?
Dass es weniger denn je auf Fakten und Information ankommt. Mehrere Institute haben untersucht, dass Donald Trumps Wortbeiträge zu mehr als 50 Prozent unwahr sind. Er jongliert mit Zahlen und macht aus zwei Nullen gern mal eine Acht. Er schafft mit Worten eine einfache Welt, in der Ausländer das Land verlassen, Frauen Schönheitswettbewerbe gewinnen und Steuern zu zahlen – ach – gar nicht so wichtig ist. Das Niveau ist kurz vor dem Wahltag auf Bettkantenhöhe gefallen, und dennoch (oder deshalb?) ist Donald Trump täglich weltweit in den Schlagzeilen, perfekt inszeniert als er selbst: Raufbold, Poltergeist, Sexist. Wer war noch gleich seine Gegenkandidatin? Richtig, Hillary, die Eiserne, Konstante, Taktierende. Sie hat sich Gottseidank nicht auf Trumps Niveau herabgelassen. Inszeniert sich als Stabilitätsanker und Frauenversteherin. Könnte klappen!
Wie viel Entertainment-Faktor braucht die gekonnte Inszenierung einer Persönlichkeit ihn Ihren Augen?
Wer auch im schwarzen Rolli eine starke Ausstrahlung hat, wie Steve Jobs, der braucht im Zweifel gar nicht viel drum herum. Der inszenierte sich als Minimalist – und leitete das jeweilige Produkthighlight irgendwann zum Ende seiner Präsentation mit den Worten ein „one more thing.“ Auch das kann Kult werden. Steve Ballmer von Microsoft dagegen stürmte immer auf die Bühne, galoppierte von rechts nach links und links nach rechts, schrie, schwitzte – und hat so sein Publikum gefesselt. Der Entertainment-Faktor spielt also bei vielen eine Rolle, wobei Entertainment mal mehr und mal weniger vordergründig sein kann. Hauptsache nicht 08-15.
Die Grundregeln der Inszenierung
Was sind die ersten Steps in der Inszenierung einer Persönlichkeit?
Wichtig am Anfang ist eine ehrliche Bestandsaufnahme: Als durchschnittlicher Fußballspieler der Regionalliga Nord – kann ich mich so aufführen wie Cristiano Ronaldo? Eher nicht. Als Gründer eines Start-Ups mit einer tollen Idee, gehöre ich auf eine Bühne, die nur Steve Jobs füllt? Eher nicht. Noch nicht. Also: Die Inszenierung sollte von Anfang an zur Person und ihrer Rolle passen. Bei Angela Merkel hat man sehr konsequent und angemessen an der Kleidung gearbeitet und am Einsatz von Schmuck inklusive Handhaltung (Merkel-„Raute“). Das war stimmig von Anfang an.
Welche sind Ihrer Meinung nach die Hauptfaktoren der Selbstinszenierung?
Wir Menschen sind aufgrund unserer Evolution sehr visuelle Wesen. Wir merken uns besser, was wir sehen, als was wir hören. Daher gehört ein interessantes, stimmiges Outfit auf jeden Fall immer dazu. Und wie wir an der Merkel-„Raute“ sehen, kann auch die Körpersprache zum Markenzeichen werden. Wichtig ist, dass ich in meiner Selbstinszenierung nichts kopiere, was besser zu anderen passt. Auch die häufig austauschbaren Gesten aus Rhetorik-Trainings sind meiner Ansicht nach für die Katz, weil man ihnen die Künstlichkeit ansieht.
Auf welche Art spielen diese unterschiedlichen Faktoren aufeinander ein?
Bild und Ton schlägt Inhalt. Nehmen wir nochmal Cristiano Ronaldo. Der muss gar nicht den Mund aufmachen und polarisiert schon. Natürlich sind und bleiben die Inhalte wichtig, sie sind nur schwieriger zu platzieren und zu merken als die Äußerlichkeiten. Viele hier in Deutschland lehnen Donald Trump rundheraus ab. Als in Szene gesetzte Person aber ist bei ihm alles stimmig!
Schein oder Sein?
Wie viel Authentizität steckt demnach noch in einem Auftritt, der von Kopf bis Fuß strategisch geplant ist?
Ich habe ein Problem mit dem Wort Authentizität. Ist es authentisch, wenn ich mit Zahnschmerzen ein fröhliches Kommunikations-Training leite, wo ich mich doch lieber mit einer Schmerztablette zu Hause verkriechen würde? Hillary Clinton kann sich bestimmt schönere Abende vorstellen, als sich von Trump im Fernsehen beschimpfen zu lassen, während Millionen Amerikaner zuschauen. Sie schlüpft da, im Rahmen ihres Temperaments und ihrer Funktion, in eine Rolle, die andere für sie verfeinert und zu Ende inszeniert haben. Aber ist das authentisch?
Touché. Zu einem anderen Tabu-Thema: Darf man Schwächen zulassen oder gar offen zeigen?
In Amerika eindeutig: nein. Da dürfen Sie nicht mal einen Schnupfen haben, wenn Sie Präsident werden wollen. Auf dem Foto, das Hillary Clinton im War Room des Weißen Hauses zeigt, als Osama bin Laden in Pakistan aufgespürt und getötet wird, ist die Hand vor dem Mund der damaligen Außenministerin vermutlich auch kein Zufall. Eher eine gezielte, menschliche Regung als eine Schwäche. Und trotzdem wurde lange darüber diskutiert.
In Deutschland werden Schwächen schon eher toleriert. Insbesondere Schwächen von Alpha-Tieren: Schweinsteiger darf bei seinem Abschiedsspiel weinen, ohne dass es rückblickend an seiner Führungsrolle kratzt.
Auf die Vorbereitung kommt es an
Wie bereitet man sich optimal auf den großen Auftritt vor?
Das fängt schon morgens beim Blick in den Kleiderschrank an: Welche Kleidung passt zu mir, meiner Rolle und meinem Auftritt? In welcher Kleidung kann ich meine Stärken ausspielen, ohne dass mich etwas ablenkt oder irritiert? Das sind bei Frau Merkel zum Beispiel die maßgeschneiderten Anzüge in allen Farben. Passen, sitzen, werfen keine Fragen auf. Dann brauche ich dazu die maßgeschneiderten Kernbotschaften: Nicht 20, eher zwei oder drei. Sind die klar genug, dass jeder sie versteht? Passen sie in 140 Zeichen für Twitter? Habe ich Spaß, über diese Dinge zu sprechen? So mancher Redner ist ja nicht von sich aus langweilig. Er hat nur Redenschreiber, die an ihm vorbei texten. Martin Luther King wäre mit „I have a dream“ nie in die Geschichte eingegangen, wenn er nicht das eigentliche Skript für den Abend weggeworfen hätte.
In unserer Branche liegt der große Unterschied zwischen einer gelungenen und einer weniger gelungenen Inszenierung meist in einem durchdachten Spannungsbogen. Welchen Stellenwert hat die Dramaturgie in der Inszenierung von Persönlichkeiten?
Dramaturgie ist der Schlüssel zum Erfolg. Dazu gehören Spannungsaufbau, Überraschungsmomente wie auch Interessantes, das immer wieder kommt, man weiß nur nicht, wann. Wie Steve Jobs‘ „one more thing.“ Ich persönlich zähle zur Dramaturgie auch die Zutaten guter Kommunikation: Anschauliche Beispiele, Erlebtes, Ich-Botschaften, Vergleiche, strukturierende Fragen, wenig Zahlensalat und wenig Fachchinesisch. Wer das alles gut mixt, hat die Aufmerksamkeit über lange Zeit schon auf seiner Seite.
Gibt es einen „typischen Spannungsbogen“ beim Auftritt großer Persönlichkeiten?
Es gibt tatsächlich etwas, das allen großen Rednern gemein ist. Egal ob Aristoteles, Cicero, Martin Luther King, heutzutage Barack Obama: Sie alle vermitteln eine große Leidenschaft für ihr Thema. Sie schaffen es, dass der Funke überspringt auf ihre Zuhörer. Und sie lassen übrigens auch Raum für die Wirkung ihrer Worte: Große Redner rattern nicht durch ihre Texte, sie sprechen eher langsam und machen immer wieder Wirkpausen.
Dagegen gibt es aus meiner Sicht kein Schema F für den Aufbau guter Reden oder spannender Auftritte. Es ist und bleibt abhängig von der Person und ihrer Rolle.
Zu guter Letzt die Frage, die uns allen auf der Zunge brennt: Kann aus jeder Person ein guter Speaker werden?
Jeder kann im Rahmen seines Temperaments – und nicht zu vergessen im Rahmen seines Stimmvolumens – ein überzeugender Speaker werden. Wenn er die Zutaten guter Kommunikation einsetzt UND wenn er ein Anliegen hat. Also eine innere Haltung hinter seinem Thema.
Man kann sich nicht nicht inszenieren!
Sobald wir einen Raum betreten, aus einem bestimmten Grund mit einer präzisen Absicht und einem Ziel vor Augen in die Kommunikation starten, inszenieren wir uns und unser Anliegen. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Mit der Fähigkeit sich selbst zu reflektieren und sich seines Auftretens bewusst zu werden, können wir potenziell viel mehr aus uns herausholen. Als Redner, als Gesprächspartner und als Persönlichkeit. Sei es im politischen, im beruflichen oder privaten Umfeld.
Wir bedanken uns herzlich für die interessanten Ausführungen bei Frau Dr. Katrin Prüfig und empfehlen Ihre Coachings aufs Wärmste!

Kommentare wurden für diesen Beitrag deaktiviert.